Sterbende nicht allein lassen

Wattenscheid – „Wenn die Tür in dem Moment nicht aufgegangen wäre, wär` ich wohl einfach wieder gegangen“, erinnert sich Agathe Lapka.

Die Tür, die sich damals im richtigen Moment öffnete, war im Krankenhaus. Dahinter lag ihre Nachbarin – gerade dreißig Jahre jung, Mutter von zwei kleinen Kindern und unheilbar an Krebs erkrankt. Sie selbst hatte gerade erst ihre Mutter verloren und wurde nun gebeten, sich um die junge Frau zu kümmern.

Junge Mutter – todkrank

„Ich wusste anfangs gar nicht was ich erzählen sollte, mir schien alles zu belanglos.“ Doch das war eine unnötige Sorge, denn ihre Nachbarin wollte einfach am Alltag teilhaben und nahm ihr durch ihre liebevolle Art die Hemmungen. Rückblickend versteht Agathe Lapka das: „Diese Menschen wollen wirklich bis zuletzt leben“.

Gewiss bereitete der Sterbenden der unausweichliche Tod Angst. Doch sie wollte vor allem reden und nicht allein sein. „Ihr Mann konnte damit nicht umgehen, deshalb bat er mich seine Frau zu besuchen.“ Am Tag des Todes ging Agathe Lapka mit den Kindern der Verstorbenen zum Karnevalsumzug. „Ich hatte es ihr versprochen, doch es war schrecklich.“ Noch heute kommen ihr beim Erzählen die Tränen. „Danach war für mich klar, dass ich das weitermachen muss.“

So schloss sie sich einer Gruppe für Sterbebegleitung an. 30 Ehrenamtliche sind im Schnitt im Hospizverein Wattenscheid tätig. Unterstützt und in Grundkursen angeleitet werden sie von Gesine Maurer. Sie ist Diplom-Sozialarbeiterin und seit 2005 hauptamtliche Koordinatorin des Vereins.

Man lebt intensiver

Unterschiedlichste Wege haben die Sterbebegleiter zum Verein geführt, bei vielen führte der Weg über den persönlichen Verlust. Auch auf den Umgang mit dem Tod und die eigene Persönlichkeit hat ihre Tätigkeit großen Einfluss. „Ich bin toleranter und mitfühlender geworden“, fasst Monika Heer ihre Empfindungen und die der restlichen Gruppe zusammen. „Man sollte sein Leben nicht mit Nickeligkeiten vergeuden, es kann immer schnell vorbei sein.“

Berührungsängste gegenüber Kranken oder gar Toten haben sie abgebaut. Doch ganz wichtig ist ein völlig verändertes Lebensgefühl. „Man lebt intensiver und lernt Kleinigkeiten zu schätzen“, erklärt Monika Heer strahlend. Daraus haben sich bei ihr auch noch andere Aspekte ergeben. „Ich bin mittlerweile Vegetarier und auch etwas esoterisch angehaucht“, gibt sie lachend, aber gerne zu.

1999 kam Renate Korte zum Verein, weil sie an einen Punkt kam, an dem sie sich bewusst für etwas Wichtiges engagieren wollte: „Man kommt in die Mitte des Lebens und fängt an sich mit gewissen Themen ernsthafter auseinander zu setzen.“

Das Umfeld reagiert manchmal etwas befremdet auf das Ehrenamt. „Am besten können wir untereinander sprechen“, erklärt Karla Kruschewski. Man stärkt sich gegenseitig. Doch in diesen Gesprächen ist längst nicht alles traurig. Ganz im Gegenteil. „Es kommt oft vor, dass man auch mit den Menschen und ihren Familien lacht. Das ist einfach wichtig“, berichtet Kruschewski aus der eigenen Erfahrung.

Denn auch die Angehörigen sollen durch die Sterbebegleitung aufgefangen werden. In besonders glücklichen Fällen wirkt die Hilfe verbindend. „Wisst ihr noch, unser Herr B.?“, wirft Gesine Maurer ein. Und schon fangen sie an zu erzählen. Ein Mann bat darum, man möge Kontakt zu seiner Exfrau und seinem Sohn aufnehmen. „Ein bisschen mulmig war mir schon“, erinnert sich Karla Kruschewski. Doch sie fasste sich ein Herz und arrangierte ein erstes Treffen. Nach dem Tod des Vaters konnte sie seinem Sohn noch berichten, wie stolz der Vater auf ihn gewesen war. Ein anderer „Fall“ war ein älterer Herr, der nur zwei Schwestern hatte. Beide fühlten sich überfordert und hatten Angst, ihren Bruder auf seinem letzten Weg zu begleiten, ein Sterbebegleiter sollte helfen. Doch die Hemmungen konnten durch Gespräche überwunden werden. So konnten ihm seine Schwestern in seiner letzten Stunde doch die Hand halten.

Tod gehört zum Leben

„Auch das muss man lernen,“ gibt Monika Heer zu bedenken. In Kursen wie „Basale Stimulation“ lernt man beispielsweise, dass es für die Kranken, die häufig bereits dahin vegetieren, viel angenehmer ist, wenn man etwas beherzter zupackt, als zart zu streicheln. Doch was man vor allem lernt, ist wohl die Tatsache, die Agathe Lapka unterstreicht: „Der Tod gehört einfach zum Leben, auch wenn man das gern verdrängt. Die Hauptsache ist, dass man nicht allein ist“. – Katrin Herbstreit

Kontakt: Hospizverein Wattenscheid e.V., Tel. (02327)93355 55, (0171-7571994), www.hospizverein-wattenscheid.de.; Hospiz St. Hildegard e.V. Königsallee 135, Bochum, Tel.: 02 34 / 3079023.

Samstag, 25. November 2006 | Quelle: Ruhr Nachrichten (Bochum)