Um Hilfe wird oft zu spät gebeten

Christel Müller-Ovelhey über ihre ersten 100 Tage beim Hospizverein

Am meisten beeindruckt hat Christel Müller-Ovelhey das Engagement der Ehrenamtlichen. Foto: WAZ, Gero Helm Die ersten 100 Tage als Koordinatorin des Hospizvereins hat sie hinter sich gebracht: Mit Christel Müller-Ovelhey sprach Redakteurin Annette Wenzig über ihre bisherigen Erfahrungen.

Was war für Sie während der ersten 100 Tage besonders beeindruckend?

Müller-Ovelhey: Das Super-Engagement der Ehrenamtlichen und die herzliche Aufnahme. Ich bin ja als Koordinatorin keine weisungsbefugte Dienstherrin. Wenn eine Sterbebegleitung benötigt wird, rufe ich einen ehrenamtlichen Mitarbeiter an – und der lässt meist zu Hause alles stehen und liegen. Das finde ich toll.

Sie haben vor Ihrem Wechsel zum Hospizverein einen Pflegedienst geleitet. Warum haben Sie sich für die Hospizarbeit entschlossen?

Müller-Ovelhey: In der Pflegedienstleitung bleibt man ja auch nicht vom Tod verschont. Wenn man betagte Menschen betreut, steht das Thema Sterben immer im Focus. Es hat mich gereizt, zum Kern zurückzukehren und Menschen in einer existenziellen Sondersituation unterstützend zur Seite zu stehen. Ohne den Zeitdruck und die betriebswirtschaftlichen Zwänge, nach denen sich ambulante Pflegedienste richten müssen. Ich hatte oft das Gefühl, ich entferne mich in der Pflegedienstleitung immer mehr von dem Menschen, um den es eigentlich geht: den Patienten.

Inwieweit sind Sie als Koordinatorin des Hospizvereins wieder näher am Patienten?

Müller-Ovelhey: Ich habe den ersten Kontakt mit den Klienten. Zu meinen Aufgaben gehört die vorsorgliche oder auch akute Beratung von Betroffenen und Angehörigen im Hinblick auf die Gestaltung der letzten Lebensphase. Im Erstgespräch, das bis zu drei Stunden dauern kann, besteht die Kunst darin herauszuspüren, was die Beteiligten brauchen. Leider wird unsere Hilfe oft viel zu spät in Anspruch genommen, meist erst unmittelbar im Sterbeprozess.

Ab wann kann oder sollte man sich denn an den Hospizverein wenden?

Müller-Ovelhey: Wann immer man das Gefühl hat, psychologische Unterstützung zu brauchen. Unter der Voraussetzung, dass der Patient unter einer Erkrankung leidet, die in absehbarer Zeit zum Tode führen wird.

Welche Unterstützung bietet der Hospizverein neben der Sterbebegleitung?

Müller-Ovelhey: Wir informieren darüber, wie unser Netzwerk aufgebaut ist, welche Hilfen man von Ärzten, Pflegediensten, Seelsorgern und den Partnern im Palliativnetz in Anspruch nehmen kann. Ich höre oft den Satz: Wenn ich das alles doch eher gewusst hätte. Das bezieht sich meist auf die Möglichkeiten der Palliativmedizin bei starken Schmerzen.

Woran liegt es, dass die Menschen erst so spät Ihre Hilfe in Anspruch nehmen?

Müller-Ovelhey: Viele haben den Anspruch: Das muss ich doch alleine schaffen. Es ist schon verrückt: Wir planen unsere Karriere, wir betreiben Familienplanung – aber wenn es um das Lebensende geht, hört alle Planung auf. Aber das kann man nicht den Angehörigen überlassen oder dem Staat. Das muss man selbst in die Hand nehmen. Wir können aber immer eine Form der Unterstützung geben. Das sind oft ganz winzige Dinge. Die Menschen sollten den Mut haben, uns früher zu rufen, damit wir ihnen die verbleibende Zeit noch gut gestalten und sie entlasten können.